Kein Präventionsverfahren in der Probezeit

Klarheit durch BAG-Urteil: Kein Präventionsverfahren bei Kündigung in der Probezeit notwendig

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat mit Urteil vom 03.04.2025 – 2 AZR 178/24 eine für die Praxis bedeutsame Entscheidung getroffen: Bei einer Kündigung während der Probezeit ist der Arbeitgeber nicht verpflichtet, ein Präventionsverfahren gemäß § 167 Abs. 1 SGB IX durchzuführen – auch nicht bei schwerbehinderten oder gleichgestellten Beschäftigten. Diese Entscheidung bringt insbesondere für Arbeitgeber eine willkommene Klarstellung, da zuvor Unsicherheit bestand – ausgelöst durch ein EuGH-Urteil[1] aus dem Jahr 2022 sowie einzelne Urteile deutscher Arbeitsgerichte[2], die eine andere Richtung andeuteten.

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Der Fall: Kündigung in der Probezeit

Ein schwerbehinderter Arbeitnehmer war seit Januar 2023 bei einem Unternehmen als Leiter für Haus- und Betriebstechnik tätig. Das Arbeitsverhältnis war zunächst auf sechs Monate befristet. Bereits nach 3 Monaten sprach der Arbeitgeber die Kündigung aus. Die Entscheidung stützte sich auf wiederholte Fehlzeiten des Arbeitnehmers, die insbesondere in der kurzen Einarbeitungszeit auffielen, sowie auf Zweifel an seiner Belastbarkeit und Eignung für die vorgesehene Tätigkeit im Schichtbetrieb. Der Arbeitnehmer klagte gegen die Kündigung und argumentierte, dass der Arbeitgeber vor Ausspruch der Kündigung ein Präventionsverfahren nach § 167 Abs. 1 SGB IX hätte einleiten müssen. Dies sei seiner Ansicht nach durch das Urteil des EuGH vom 10. Februar 2022 (C-485/20) auch europarechtlich geboten.

Die Entscheidung des BAG

Das Bundesarbeitsgericht wies die Klage ab. Es stellte klar:

167 Abs. 1 SGB IX verpflichtet Arbeitgeber nicht, vor jeder Kündigung eines schwerbehinderten Menschen ein Präventionsverfahren durchzuführen.

Diese Pflicht besteht nur, wenn ein bestehendes Arbeitsverhältnis stabilisiert werden soll, nicht jedoch bei einer Kündigung in der Probezeit, die typischerweise der Erprobung dient. Die Entscheidung des EuGH aus 2022 sei auf den deutschen Rechtsrahmen nicht ohne Weiteres übertragbar. Dort ging es um eine andere Rechtslage in Belgien, in der das Kündigungsrecht strenger ausgestaltet ist.

Wichtig für die Praxis:

Im entschiedenen Fall betrug die Probezeit 6 Monate. Das BAG hat jedoch keine Beschränkung auf die Dauer vorgenommen. Entscheidend war allein, dass die Kündigung innerhalb einer vereinbarten Probezeit ausgesprochen wurde.

Daraus ergibt sich für die Anwendungspraxis: Auch bei der üblichen sechsmonatigen Probezeit nach § 622 Abs. 3 BGB besteht keine Pflicht zur Durchführung eines Präventionsverfahrens, sofern sich die Kündigung innerhalb dieser Probezeit vollzieht.

Fazit: Rechtssicherheit für die Praxis

Für Arbeitgeber schafft das Urteil endlich Klarheit:

Ein Präventionsverfahren ist bei Kündigungen in der Probezeit nicht zwingend erforderlich, selbst wenn der oder die Beschäftigte schwerbehindert oder gleichgestellt ist. Das bedeutet nicht, dass der Schutz schwerbehinderter Menschen ausgehöhlt wird – aber es bedeutet, dass die besondere Funktion der Probezeit weiterhin gewahrt bleibt. Arbeitgeber können Entscheidungen in der Erprobungsphase treffen, ohne durch zusätzliche Verfahren blockiert zu sein.

Für die Praxis in der Personalabteilung heißt das:

  • Kündigungen in der Probezeit bleiben rechtlich einfacher möglich
  • Dokumentation von Leistungs- und Eignungsbedenken bleibt wichtig
  • Präventionsverfahren sind erst nach der Probezeit zu prüfen

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[1] EuGH, 10.02.2022 - C-485/20

[2] Arbeitsgericht Köln 20.12.2023 - 18 Ca 3954/23, LAG Köln 12.09.2024- 6 SLa 76/24, ArbG Freiburg (Breisgau) 04.06.2024 – 2 Ca 51/24

(Artikel erstellt am 11.08.2025)

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Die Verfasserin

Ruiters WEB rund

RAin Britta Ruiters 
Rechtsanwältin und PIW-Trainerin

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